Berichterstattung über sog. „Pick-Up-Artists“ in einer AStA-Zeitung Zum Äußerungsrecht von Hoheitsträgern BGH Urteil vom 08.11.2022 – VI ZR 65/21

Der Bundesgerichtshof hat sich in seinem Urteil vom 08.11.2022 mit einer öffentlich-rechtlichen Unterlassungsklage gegen zwei Artikel

einer Zeitung des Allgemeinen Studierendenausschusses einer hessischen Universität befasst, in denen über sogenannte „Pick-Up-Artists“ berichtet wurde.

„Pick-Up-Artists“, so der erste der beiden angegriffenen Artikel, sind „Männer*, die der gleichnamigen Szene angehören. Die Szene ist aufgeteilt in so genannte ‚Gurus‘ und ‚Anhänger‘. Die ‚Gurus‘ versprechen den ‚Anhängern‘, ihnen in Seminaren und Workshops zu mehr Selbstbewusstsein und zur Stärkung des eigenen ‚Ichs‘ zu verhelfen. Dies soll geschehen, damit die Seminarbesucher* in der Lage sind, Frauen* anzusprechen und diese schlussendlich ins Bett zu bekommen“. Der Kläger war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ein aktives Mitglied dieser Szene. Er demonstrierte seine „Kunst“ bereits in Fernsehauftritten und arbeitete nebenberuflich als Trainer bei Pick-Up-Seminaren. Zudem war er zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Student an der Hochschule, deren AStA über das Phänomen als solches und dabei unter anderem auch über den Kläger berichtete.

Der BGH sprach der Streitsache einen öffentlich-rechtlichen Charakter zu. Die AStA-Zeitung wird von der Studierendenschaft betrieben. Die Studierendenschaft ist als solche eine rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die streitgegenständlichen Artikel sind in Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben veröffentlicht worden und somit Teil des staatlichen Informationshandels (BGH Urteil v. 08.11.22 - VI ZR 65/21, Rn. 14). Das Klagebegehren stützte sich infolge dessen nicht auf einen zivilrechtlichen, sondern auf einen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch gegen die verfasste Studierendenschaft der Universität.

Voraussetzung für den öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Unterlassung einer Äußerung ist:

  • ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen oder sonstige subjektive Rechte des Betroffenen
  • und eine konkrete Wiederholungsgefahr.

Für rechtmäßiges, staatliches Informationshandeln gilt zunächst das Erfordernis einer gesetzlichen oder verfassungsunmittelbaren Grundlage. Wo die Grenzen der zulässigen Äußerung zu ziehen sind, hängt weiter von den Umständen des Einzelfalls ab. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass amtliche Äußerungen sich an den allgemeinen Grundsätzen für rechtsstaatliches Verhalten in der Ausprägung des Willkürverbots und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu orientieren haben. Aus dem Willkürverbot ist abzuleiten, dass Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen dürfen, d.h. bei verständiger Beurteilung auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen müssen und zudem den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreiten dürfen (BGH Urteil vom 08.11.2022 – VI ZR 65/21 –, Rn. 18; zum Sachlichkeitsgebot BGH Urteil vom 02.07.2019 - VI ZR 494/17, AfP 2019, 434 Rn. 21).

Die angegriffene Textberichterstattung sei danach nicht zu beanstanden. Der BGH bejaht zwar das Vorliegen eines Eingriffs in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers. Die streitgegenständlichen Äußerungen hätten mittelbar faktische Wirkung auf den Betroffenen, indem sie geeignet seien, den sozialen Geltungsanspruch und die berufliche Ehre des Klägers zu beeinflussen und sich negativ auf das Ansehen des Klägers in der Öffentlichkeit auszuwirken (BGH Urteil vom 08.11.22 – VI ZR 65/21 Rn. 21 f.).

Vom Gericht verneint wird jedoch die Rechtswidrigkeit dieses Eingriffs in den Schutzbereich, da ein rechtfertigender Grund vorliege. Im Sinne eines „Brückenschlags“ sei der Studierendenschaft auch die Stellungnahme zu allgemeinpolitischen und gesellschaftlichen Fragestellungen erlaubt, solange dabei der Zusammenhang zu studien- und hochschulpolitischen Belangen deutlich erkennbar bleibe (BGH Urteil vom 08.11.2022 – VI ZR 65/21 –, Rn. 31). Eine solche Ermächtigung zur Informationstätigkeit falle zwar nicht unter die der Studierendenschaft zugewiesene Aufgabe der Förderung der politischen Bildung, sei aber von der Kompetenz zur Wahrnehmung der wirtschaftlichen und sozialen Belange der Studierenden mit umfasst.

Dass es sich insoweit nicht um einen konstruierten „Brückenschlag“ zwischen den spezifisch hochschulbezogenen sozialen Belangen der Studierenden der betreffenden Universität und dem Phänomen der „Pick-Up-Szene“ handele, ergebe sich aus dem Umstand, dass es nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Zeitpunkt der Veröffentlichung mehrfach zu übergriffigem Verhalten an der betreffenden Universität gekommen sei (BGH Urteil vom 08.11.2022 – VI ZR 65/21 –, Rn. 33).

Der in der Wortberichterstattung liegende Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers sei auch verhältnismäßig. Insbesondere stehe dem grundrechtlich geschützten Interesse des Klägers, die eigene Person nicht in der Öffentlichkeit dargestellt zu sehen, an seiner sozialen Geltung und seiner beruflichen Ehre das erhebliche öffentliche Interesse an einer Information der Studierenden über die Auswirkungen des „Pick-Up-Phänomens“ gegenüber. Die zwischen diesen gegenläufigen Interessen vorzunehmende Abwägung führe im Ergebnis zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an einer identifizierenden Berichterstattung (BGH, Urteil vom 08.11.2022 – VI ZR 65/21 –, Rn. 35). Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der Kläger sich durch eigene „Selbstöffnung“ zum Gegenstand des Interesses auch der Hochschulöffentlichkeit gemacht habe, indem er unter anderem an einem mehrminütigen Fernsehbeitrag mitgewirkt habe, in dem er die Pick-Up-Szene erläutert und ein Interview gegeben habe. Darüber hinaus müsse der Kläger für den Bereich seiner Sozialsphäre, in dem seine nebenberufliche Tätigkeit als „Pick-Up-Coach“, sein zugehöriger Auftritt auf der Homepage der Agentur und seine Mitwirkung in dem erwähnten Fernsehbeitrag zu verorten seien, eine – auch kritische – öffentliche Auseinandersetzung mit seinem Wirken weitergehend hinnehmen, als dies bei Beiträgen über sein rein privates Flirtverhalten der Fall wäre (BGH, Urteil vom 08.11.2022 – VI ZR 65/21 –, Rn. 36; vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 128).

Äußerungen von Hoheitsträgern als Teil des staatlichen Informationshandelns sind – auch in Fällen, in denen das Hoheitsverhältnis wie im Falle der AStA-Zeitschrift den Gerichten nicht sofort augenfällig wird und daher, wie vorliegend, der Zivilrechtsweg beschritten wird – regelmäßig dem öffentlichen Recht zuzuordnen.

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Charlotte Gaschke                   Lilly Dankert