Im Zusammenhang mit Unternehmenstransaktionen werden häufig Teile des Anlagevermögens, die nicht Bestandteil der Transaktion sein sollen, von der Zielgesellschaft auf eine Schwesterpersonengesellschaft desselben Gesellschafters übertragen (sog. „Carve Out“). Hierbei handelt es sich mitunter um Wirtschaftsgüter, in denen erhebliche stille Reserven verhaftet sind, wie etwa das Betriebsgrundstück. Da die Aufdeckung der stillen Reserven zu einer erheblichen Steuerbelastung führen kann, besteht in der Praxis ein hohes Bedürfnis nach einer steuerneutralen Überführung von dem Betriebsvermögen der abgebenden in das Betriebsvermögen der aufnehmenden Gesellschaft.
Bislang war ungeklärt und zwischen der Finanzverwaltung, dem I. und dem IV. Senat des Bundesfinanzhofes (BFH) umstritten, ob für die direkte Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften das Buchwertprivileg des § 6 Abs. 5 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) gilt. Dieser jahrelange Streit ist nun endgültig durch das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 28.11.2023 – v BvL 8/13) entschieden worden: Danach ist § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit danach eine Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen beteiligungsidentischen Personengesellschaften zum Buchwert ausgeschlossen ist. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat den Gesetzgeber angewiesen, rückwirkend für Übertragungsvorgänge nach dem 31.12.2000 eine Neuregelung zu treffen. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bleibt § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung mit der Maßgabe anwendbar, dass das dort geregelte sog. „Buchwertprivileg“ mit Wirkung für Übertragungsvorgänge nach dem 31.12.2000 auch gilt, soweit ein Wirtschaftsgut unentgeltlich aus dem Gesamthandsvermögen einer Mitunternehmerschaft in das Gesamthandsvermögen einer beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaft übertragen wird.
I. Hintergrund der Entscheidung und Problemaufriss
Wechselt die Rechtszuständigkeit für ein Wirtschaftsgut beispielsweise durch eine Übertragung oder scheidet ein Wirtschaftsgut anderweitig aus dem Betriebsvermögen aus (z.B. durch Entnahme oder Betriebsaufgabe), so ist es in den Bilanzen des Aufnehmenden und des Abgebenden neu anzusetzen und zu bewerten. Wenn eine Personengesellschaft Wirtschaftsgüter an eine andere Personengesellschaft überträgt, an der dieselben Gesellschafter im gleichen Verhältnis beteiligt sind (beteiligungsidentische Personengesellschaften), stellt sich die Frage, ob diese Übertragung zum Buchwert oder zum Verkehrswert erfolgen kann.
Der Buchwert ist der Wert, der in der Bilanz der übertragenden Personengesellschaft ausgewiesen ist. Der Verkehrswert ist der Wert, der am Markt für das Wirtschaftsgut erzielt werden könnte. Wenn der Verkehrswert höher ist als der Buchwert, entstehen stille Reserven, die bei einer Übertragung zum Verkehrswert aufgedeckt und besteuert werden müssen. Eine Übertragung zum Buchwert ist daher steuerlich vorteilhafter, da sie die stillen Reserven fortbestehen lässt und eine Besteuerung vermeidet.
Ob nach geltender Rechtslage die Übertragung eines Wirtschaftsguts aus dem Gesamthandsvermögen einer Personengesellschaft in das Gesamthandsvermögen einer (beteiligungsidentischen) Schwesterpersonengesellschaft unter Beibehaltung der Buchwerte möglich war, war zum Zankapfel zwischen dem I. und dem IV. Senat des BFH geworden ist. Ihre Beantwortung entscheidet darüber, ob und gegebenenfalls wie hoch bei den beteiligten Gesellschaften bilanzielle Gewinne durch den Transfer entstehen.
Bei einer unentgeltlichen Übertragung eines Wirtschaftsguts verlässt dieses das Betriebsvermögen für betriebsfremde Zwecke und es liegt grundsätzlich eine Entnahme beim Abgebenden nach § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG vor. Die Entnahme führt in der Bilanz des Abgebenden nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 HS 1 EStG dazu, dass das Wirtschaftsgut mit dem Teilwert angesetzt und ausgebucht wird. Damit wird die Entnahme einer entgeltlichen Veräußerung zum Teilwert gleichgestellt. Es kommt folglich zu einer Wertsteigerung des Betriebsvermögens und zu der Aufdeckung der im Wirtschaftsgut etwaig verhafteten stillen Reserven. Insoweit führt die Übertragung des Wirtschaftsguts in der Bilanz des Veräußernden zu einem gewinnwirksamen Vorgang. Spiegelbildlich hierzu handelt es sich bei dem Übertragungsvorgang für den Aufnehmenden um eine Einlage nach § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG. Das eingelegte Wirtschaftsgut ist in der Bilanz des Aufnehmenden nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 HS 1 EStG ebenfalls mit dem Teilwert anzusetzen. Betriebsausgaben fallen für den Erwerb des Wirtschaftsguts aufgrund der Unentgeltlichkeit der Veräußerung nicht an.
Anders verhält es sich dann, wenn das Wirtschaftsgut ausnahmsweise zu Buchwerten übertragen werden kann. Bei der sog. Buchwertfortführung wird ein Wirtschaftsgut bei seinem Erwerb nicht mit dem Teilwert, sondern mit dem Buchwert des Rechtsvorgängers bilanziert. In diesem Fall werden die im Wirtschaftsgut verhafteten stillen Reserven durch den Transfer nicht aufgedeckt. Es entsteht folglich bei dem Übertragungsvorgang zu Buchwerten kein steuerpflichtiger Gewinn in Höhe der Differenz zwischen dem gemeinen Wert und dem Buchwert des Wirtschaftsguts. Vielmehr werden die in dem Wirtschaftsgut verhafteten stillen Reserven „konserviert“ und auf den aufnehmenden Rechtsträger mit übertragen. Der Besteuerungsanspruch der stillen Reserven geht mit der Buchwertfortführung jedoch nicht gänzlich unter. Stattdessen kommt es endlich zu einer Besteuerung der stillen Reserven, wenn der Empfänger des Wirtschaftsguts dieses seinerseits gewinnwirksam weiter transferiert. Die Anwendbarkeit des Buchwertprivilegs ist nicht an ein Wirtschaftsgut gebunden, sondern ist bei jedem Transfer aufs Neue zu prüfen.
Das Einkommensteuergesetz enthält in § 6 Abs. 5 eine Regelung, die in bestimmten Fällen eine Übertragung von Wirtschaftsgütern zum Buchwert ermöglicht (sog. „Buchwertprivileg“). In § 6 Abs. 5 EStG sind diverse Übertragungstatbestände normiert, bei deren Erfüllung die bilanzielle Behandlung des Transfers ausnahmsweise und in Abweichung des Grundsatzes des § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG unter Beibehaltung der Buchwerte vollzogen werden müssen. § 6 Abs. 5 EStG ist lex-specialis gegenüber der allgemeinen Grundregel des § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG, soweit die dort normierten Ausnahmetatbestände erfüllt sind.
§ 6 Abs. 5 Satz 1-3 EStG regeln den Buchwertansatz für bestimmte Übertragungs- und Überführungstatbestände von Wirtschaftsgütern. Danach ist der Buchwertansatz zum einen bei der Überführung eines Wirtschaftsguts in ein anderes Betriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen (Satz 1 und 2) obligatorisch. Zum anderen schreibt § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG für bestimmte Fälle der Wirtschaftsgutsübertragung zwischen den Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter und dem Gesamthandsvermögen der Mitunternehmerschaft den Buchwertansatz vor. Nach herrschender Ansicht ist der Katalog des § 6 Abs. 5 Satz 1-3 EStG abschließend.
II. Unterschiedliche Auffassungen der Finanzverwaltung, des I. und des IV. Senats des BFH
Die Übertragung eines Wirtschaftsguts aus dem Gesamthandsvermögen einer Personengesellschaft in das Gesamthandsvermögen einer Schwesterpersonengesellschaft ist in § 6 Abs. 5 EStG nicht ausdrücklich geregelt. Die Finanzverwaltung (BMF-Schreiben v. 29.10.2010 – IV C 6 - S2241/10/10002:001, BStBl. I 2010, 1206) und der I. Senat des BFH (Urt. v. 25.11.2009 – I R 72/08, DStR 2010, 269) waren deshalb der Auffassung, dass eine Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen Schwestergesellschaften zu Buchwerten nicht möglich sei.
Der IV. Senat des BFH war jedoch gegenteiliger Meinung und hatte deshalb zunächst ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Auffassung des I. Senats angemeldet (Beschl. v. 15.04.2010 – IV B 105/09, NJW-RR 2010, 1126) und in einem kurze Zeit später zu entscheidenden Fall diese Rechtsfrage dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt (Beschl. v. 10.04.2013 - I R 80/12. DStR 2013, 2158).
III. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.11.2023
Nach über zehn Jahren seit dem Vorlagebeschluss des IV. Senats des BFH hat das BVerfG in seinem Beschluss vom 28.11.2023 (Az. 2 BvL 8/13) nun die Streitfrage entschieden.
1. Nichtanwendung des Buchwertprivilegs auf Wirtschaftsgutsübertragungen zwischen beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften verstößt gegen den Allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG)
Nach Ansicht des Bundesverfassungsgericht stellt es eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung dar, wenn Einzelunternehmern die steuerneutrale Überführung einzelner Wirtschaftsgüter in das Betriebsvermögen eines anderen von ihnen unterhaltenen Betriebes möglich ist (§ 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 und 2 EStG), während ein Wirtschaftsguttransfer zwischen beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften zur Aufdeckung stiller Reserven führt. Denn in beiden Fällen handele es sich nicht um eine „Markttransaktion“. Ferner bestehe in beiden Fällen gleichermaßen kein Bedürfnis für einen sofortigen Steuerzugriff, da die stillen Reserven weiter steuerverstrickt und insbesondere auch denselben Steuerpflichtigen zugeordnet bleiben, nämlich im einem Fall dem jeweiligen Einzelunternehmer und im anderen Fall den hinter den Schwesterpersonengesellschaften stehenden Gesellschaftern. Insofern liege ein rechtfertigungsbedürftiger Begünstigungsausschluss vor.
2. Verfassungskonforme Auslegung von § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG nicht möglich
Diese im Wortlaut des Gesetzes zum Ausdruck kommende Ungleichbehandlung ist nach Ansicht des BVerfG auch nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung zu beseitigen. Denn maßgebend für die Auslegung von Gesetzen sei der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Dem Wortlaut nach handele es sich jedoch nicht um eine „Überführung“ im Sinne des § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG, weil der Begriff der Überführung – anders als der Begriff der „Übertragung“ – einen Vorgang beschreibe, der nicht mit einem Rechtsträgerwechsel einhergehe, was sich aus einer Gesamtbetrachtung des § 6 Abs. 5 EStG ergebe. Auch scheide eine Analogie aufgrund des Fehlens einer planwidrigen Regelungslücke aus, da sich der Gesetzgeber – was aus den Gesetzgebungsmaterialien deutlich hervorgehe - im Verlaufe des Gesetzgebungsprozesses mehrfach mit der Frage beschäftigt habe, ob der Wirtschaftsgutstransfer zwischen beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften privilegiert werden soll. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber sich bewusst gegen eine Privilegierung entschieden habe, wenngleich den Gesetzgebungsmaterialien eine Begründung für diese Entscheidung nicht zu entnehmen ist.
3. Sachliche Gründe zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung liegen nach Ansicht des BVerfG nicht vor
Nicht jede Ungleichbehandlung vergleichbarer Lebenssachverhalte führt jedoch zu einem Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Eine Ungleichbehandlung kann dann verfassungsrechtlich zulässig sein, wenn zumindest sachlich einleuchtende Gründe vorliegen, die die Ungleichbehandlung rechtfertigen. Nach Ansicht des BVerfG ist jedoch kein sachlich einleuchtender Grund für die Ungleichbehandlung ersichtlich. Die Benachteiligung von Wirtschaftsguttransfers zwischen beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften sei weder im Verhältnis zu Wirtschaftsguttransfers zwischen verschiedenen Betriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen noch im Verhältnis zu den durch § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG privilegierten Wirtschaftsguttransfers im Kreis der Mitunternehmerschaft gerechtfertigt.
4. Für Übertragungsvorgänge nach dem 31.12.2000 gilt das Buchwertprivileg; Gesetzgeber in der Pflicht, eine Neuregelung zu schaffen
Das BVerfG hat den Gesetzgeber daher angewiesen, rückwirkend für Übertragungsvorgänge nach dem 31.12.2000 eine Neuregelung zu treffen, die auch die Übertragung zwischen beteiligungsidentischen Personengesellschaften zum Buchwert zulässt. Bis zur Inkrafttreten einer solchen Neuregelung gilt § 6 Abs. 5 EStG mit der Maßgabe, dass die Vorschrift auch für Wirtschaftsguttransfers zwischen beteiligungsidentischen Personengesellschaften nach dem 31.12.2000 gilt. Das bedeutet, dass die unentgeltliche Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften, die nach dem 31.12.2000 vorgenommen worden sind, zu Buchwerten erfolgen und es deshalb nicht zu einer Aufdeckung und Besteuerung der stillen Reserven für solche Übertragungsvorgänge kommt.
IV. Fazit
Die Entscheidung des BVerfG hat eine erhebliche Bedeutung für die Rechtspraxis und beendet eine jahrelange Rechtsunsicherheit. Gerade in mittelständischen Unternehmen, insbesondere im Zusammenhang mit Betriebsaufspaltungen oder im Vorfeld von Unternehmenstransaktionen, werden häufig Betriebsgrundlagen, in denen erhebliche stille Reserven verhaftet sind (wie etwa das Betriebsgrundstück), aus der operativen Zielgesellschaft in eine Schwesterpersonengesellschaft desselben Gesellschafters übertragen. Dass dieser Vorgang nicht zu einer Aufdeckung der stillen Reserven führt, erleichtert Unternehmensumstrukturierungen oder Maßnahmen im Vorfeld von Unternehmenstransaktionen erheblich.
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht