COVID-19-Pandemie: Entschädigungspflicht des Staates wegen des Verbots von Großveranstaltungen?

Im Zuge der COVID-19-Pandemie haben die Städte und Gemeinden in Deutschland alle öffentlichen Veranstaltungen ab 1000 Personen verboten. Die Stadt Kiel erließ hierzu etwa am 12.03.2020 eine Allgemeinverfügung. Es stellt sich die Frage, ob Städte und Gemeinde wegen dieses Verbots zur Entschädigung der Veranstalter verpflichtet sind. Die Antwort lautet: Dies hängt vom Einzelfall ab!

Welche Entschädigungsmöglichkeiten gibt es?

Im staatlichen Entschädigungsrecht ist zwischen einem rechtmäßigen und einem rechtswidrigen Handeln des Staates zu unterscheiden.

Dass der Staat für Schäden aufkommen muss, die auf einem fahrlässig oder vorsätzlich rechtswidrigen Verwaltungshandeln beruhen, liegt auf der Hand. Daneben besteht weiterhin auch die Möglichkeit eines Entschädigungsanspruches bei einem grundsätzlich rechtmäßigem Verwaltungshandeln. In diesem Fall wird von einem sog. „Sonderopfer“ des Bürgers gesprochen. Dem folgt der Rechtsgedanke, dass der Eingriff in das Eigentum oder andere Rechtsgüter den Betroffenen im Vergleich zu anderen ungleich oder besonders trifft und diesen zu einer Aufopferung gegenüber der Allgemeinheit zwingt.

Rechtswidrige Maßnahmen – Amtshaftung

Im Falle eines fahrlässig oder vorsätzlich rechtswidrigen Verwaltungshandelns steht dem Privaten gegenüber dem Staat grundsätzlich ein Amtshaftungsanspruch gem. § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu. Dieser greift etwa dann, wenn die Behörde das ihr zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat. Für den Fall einer Veranstaltungsabsage aufgrund der COVID-19-Pandemie bedeutet dies, dass die Behörde das ihr in § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG eingeräumte Ermessen zum Verbot einer Großveranstaltung fehlerfrei ausgeübt haben muss, um sich einem möglichen Anspruch zu entziehen. In diesem Falle kommt auch ein Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff in Betracht, der kein Verschulden voraussetzt.

Entschädigungspflicht bei rechtmäßigen Maßnahmen

Neben dem Amtshaftungsanspruch und dem Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff bestehen auch im Hinblick auf rechtmäßige Maßnahmen der Behörden Entschädigungsregelungen.

Sofern die Behörden Großveranstaltungen verbieten, um die Möglichkeit einer Ausbreitung des COVID-19 zu unterbinden, kommt als mögliche Entschädigungsregelung die Vorschrift des § 65 IfSG in Betracht.

Bei der Entschädigungsregelung des § 65 IfSG ist besonders auf die 4. Variante näher einzugehen. Danach ist eine Entschädigung in Geld zu zahlen, wenn ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird. Hierunter können grundsätzlich auch die entstandenen Kosten aufgrund einer Veranstaltungsabsage gefasst werden.

Allerdings sieht die Regelung des § 65 Abs. 1 S. 1 Alt. 4 IfSG eine Entschädigung nur für solche Maßnahmen nach den §§ 16 und 17 IfSG vor. Im Falle des Veranstaltungsverbots kommt indes nicht nur § 16 IfSG, sondern auch die Vorschrift des § 28 IfSG als mögliche Ermächtigungsgrundlage in Betracht.

Während § 16 IfSG lediglich allgemeine Maßnahmen zur Verhütung der Verbreitung von Infektionskrankheiten betrifft, werden in § 28 IfSG bestimmte Schutzmaßnahmen geregelt. Unter anderem sieht § 28 IfSG die Absage von Veranstaltungen als solch eine Schutzmaßnahme vor.

Vom Wortlaut des § 65 IfSG sind derartige Maßnahmen bislang nicht umfasst.

Analoge Anwendung von § 65 IfSG auf § 28 IfSG?

Eine analoge Anwendung des § 65 IfSG auf Maßnahmen des § 28 IfSG scheitert voraussichtlich an den Voraussetzungen einer Analogie. Es ist nicht erkennbar, dass eine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Der Gesetzgeber hat bewusst einen Ausgleich lediglich für solche Maßnahmen nach den §§ 16 und 17 IfSG gewähren wollen. Eine Einbeziehung des § 28 IfSG in die Regelung des § 65 IfSG war folglich vom Gesetzgeber nicht gewollt. Aus diesem Grunde verbietet sich eine Umgehung der gesetzgeberischen Absicht durch die Annahme einer Analogie. Dies würde auch dem Schutzzweck des IfSG nicht gerecht werden, der vorwiegend darin besteht, die Allgemeinheit vor der Verbreitung von ansteckenden Krankheiten zu bewahren. Hingegen steht nicht die Leistung von Entschädigungszahlungen an Betroffene im Vordergrund, welche sich lediglich auf einzelne Maßnahmen beschränken soll.

Anspruch aus § 56 IfSG?

Ein Anspruch aus § 56 IfSG kommt nur in Einzelfällen in Betracht. Diese Vorschrift sieht u.a. vor:

„(1) Wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 S. 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, erhält eine Entschädigung in Geld. […]“

Um eine Entschädigung nach § 56 IfSG zu erhalten, müssen die betroffenen Personen  danach Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder sonstiger Träger von Krankheitserregern sein. Krankheitsverdächtiger in diesem Sinne ist nach § 2 Nr. 5 IfSG eine Person, bei der Symptome bestehen, welche das Vorliegen einer bestimmten übertragbaren Krankheit vermuten lassen. Ausscheider ist nach § 2 Nr. 6 IfSG eine Person, die Krankheitserreger ausscheidet und dadurch eine Ansteckungsquelle für die Allgemeinheit sein kann, ohne krank oder krankheitsverdächtig zu sein. Ansteckungsverdächtiger ist nach § 2 Nr. 7 IfSG eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein.

Die Vorschrift des § 56 IfSG gewährt ihrem Wortlaut nach nur eine personenbezogene Entschädigung für einen Verdienstausfall. Daher ist bereits fraglich, ob überhaupt eine Entschädigung nach § 56 IfSG erfolgen muss, wenn die betroffene Person weder Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger noch sonstiger Träger von Krankheitserregern ist.

Eine Klärung der Einzelheiten zu § 56 IfSG durch die Rechtsprechung ist in den nächsten Monaten zu erwarten.

Entschädigungspflicht bei enteignendem Eingriff

Bei rechtmäßigem Verwaltungshandeln kommt ein Entschädigungsanspruch nach den Grundsätzen zum enteignenden Eingriff in Betracht, welcher aus §§ 74, 75 EALR und Gewohnheitsrecht abgeleitet wird (vgl. BGH Urt. v. 29.03.1984 – III ZR 11/83).

Unter einem enteignenden Eingriff ist eine an sich rechtmäßige Maßnahme einer Behörde zu verstehen, welche als unbeabsichtigte Nebenfolge unmittelbar auf eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition einwirkt. Es handelt sich dabei um Sonderopferlagen, die meist als atypische und unvorhergesehene Nebenfolgen rechtmäßigen hoheitlichen Verhaltens, nicht aber durch Enteignungseingriffe durch oder auf Grund Gesetzes entstanden sind.

Ein Anspruch aus einem enteignenden Eingriff scheitert vorliegend voraussichtlich daran, dass die Veranstaltungsverbote auf einer Rechtsgrundlage gründen (§ 28 IfSG) und der damit einhergehende betriebsbezogene Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Veranstalters nicht eine atypische Nebenfolge des rechtmäßigen hoheitlichen Verhaltens darstellt.

Fazit

Es hängt nach alledem vom Einzelfall ab, ob eine Entschädigung bei einem behördlichen Verbot von Großveranstaltungen aufgrund der COVID-19-Pandemie ernsthaft in Betracht kommt. Eine vertiefte rechtliche Prüfung ist stets erforderlich.

Dr. Ramona Claußen und Dr. Fiete Kalscheuer