Das Bundeskabinett hat am 23.03.2020 einen vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) vorgelegten Gesetzesentwurf zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht als “Formulierungshilfe für die Koalitionsfraktionen” beschlossen. Dieser Entwurf ist hier auf den Seiten des BMJV zu finden und enthält ein umfangreiches Paket von Maßnahmen.
Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ist darin als Artikel 1 (“Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz” (COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz – COVInsAG)) enthalten.
Entgegen der vorherigen Pressemitteilung des BMJV vom 16.03.2020 (siehe dazu unseren Blog-Beitrag vom 19.03.2020) knüpft der von ihm nun vorgelegte Entwurf inhaltlich nicht an die Vorgängerregelungen anlässlich der Hochwasserkatastrophen 2002, 2013 und 2016 an, sondern geht über die damaligen Regelungen signifikant hinaus. Die zentrale Regelung lautet:
§ 1 Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
»Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a der Insolvenzordnung und nach § 42 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. Dies gilt nicht, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) beruht oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. War der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Ist der Schuldner eine natürliche Person, so ist § 290 Absatz 1 Nummer 4 der Insolvenzordnung mit der Maßgabe anzuwenden, dass auf die Verzögerung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Zeitraum zwischen dem 1. März 2020 und dem 30. September 2020 keine Versagung der Restschuldbefreiung gestützt werden kann. Die Sätze 2 und 3 gelten entsprechend.«
Im Kern ist danach eine grundsätzlich voraussetzungslose befristete Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (Satz 1) und die Fiktion der Ursächlichkeit der COVID-19-Pandemie für eine später eingetretene Insolvenzreife im Fall einer zum 31.12.2019 noch nicht bestehenden Zahlungsunfähigkeit (Satz 3) vorgesehen. Die Aussetzung soll nur dann nicht gelten, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht oder wenn keine Aussichten zur Beseitigung einer anderweitig eingetretenen Zahlungsunfähigkeit bestehen (Satz 2).
Flankierend dazu enthält der Entwurf in § 2 (“Folgen der Aussetzung”) eine Reihe von ergänzenden Regelungen, nämlich in Bezug auf
- die Fiktion der von den Geschäftsführern / Vorständen während der Aussetzung veranlassten Zahlungen als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters i.S.d. §§ 64 Satz 2 GmbHG, 92 Abs. 2 Satz 2 AktG, 130a Abs. 1 Satz 2, 177a Satz 1 HGB, 99 Satz 2 GenG vereinbar (§ 2 Abs. 1 Nr. 1),
- den bis zum 30.09.2023 befristeten Ausschluss der Gläubigerbenachteiligung für die Rückgewähr oder die Besicherung von während der Aussetzung gewährten Krediten, auch im Fall von Gesellschafterdarlehen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2),
- den generellen Ausschluss der Sittenwidrigkeit von Kreditgewährungen und Besicherungen während der Aussetzung (§ 2 Abs. 1 Nr. 3),
- den in verschiedener Hinsicht vorgesehenen Ausschluss der Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 lit. a) bis e)).
Für die per se nicht insolvenzantragspflichtigen Unternehmen ist gemäß § 2 Abs. 2 eine in weiten Teilen entsprechende Anwendung vorgesehen.
Soweit es staatliche Kredithilfen der KfW oder anderer Finanzierungsinstitute angeht, wird deren Gewährung, Besicherung und Rückführung gemäß § 2 Abs. 3 noch weitergehend kraft Gesetzes geschützt, hinsichtlich der Rückgewähr sogar unbefristet.
Es ist davon auszugehen, dass ein dieser Formulierungshilfe entsprechender Entwurf zeitnah – voraussichtlich noch in dieser Woche – in den Bundestag eingebracht und dort beschlossen werden wird. Es bleibt abzuwarten, ob im Gesetzgebungsverfahren noch Änderungen daran erfolgen werden, namentlich was die in § 1 Satz 2 des Entwurfs vorgesehene Rückausnahme einer zum 31.12.2019 bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit und deren Nichtabwendbarkeit angeht (kritisch dazu auch Prof. Dr. Stephan Madaus).
Wir werden Sie an dieser Stelle über die weiteren Entwicklungen unterrichtet halten.
Aktualisierung vom 25.03.2020:
Der entsprechende Gesetzesentwurf (BT-Drs. 19/18110) ist nunmehr in den Bundestag eingebracht worden und wird dort heute ab 14:40 Uhr in öffentlicher Lesung behandelt werden.
Dr. Matthias Waack